Sonderveröffentlichung
Gedanken nach der Gesellenprüfung, ihre Wanderschaft in Europa - Erfahrungen und Tipps

Interview mit Helene Steinberg: Von der Walz nach Münster

Interview mit Helene Steinberg: Von der Walz nach Münster

Als eine von wenigen jungen Frauen im Handwerk hat Helene Steinberg vier Jahre lang Berufserfahrungen als Wandergesellin gesammelt. Fotos: Teamfoto Marquardt/Competentia Münsterland

Vier Jahre lang war Raumausstatterin Helene Steinberg auf Wanderschaft in Deutschland und Europa und sammelte dabei nicht nur fachliche Erfahrungen. Für die nächsten Jahre ist sie erstmal in Münster sesshaft geworden. An der Akademie für Gestaltung der Handwerkskammer Münster bildet sie sich zur Gestalterin im Handwerk fort.

Im Rahmen der Interviewreihe "Vorbildfrauen Frau im Münsterland" hat das Kompetenzzentrum und Beruf mit Steinberg über ihre spannenden Erlebnisse, Klischees und Rollenbilder sowie ihren Weg als Frau im Handwerk gesprochen.

Was waren ihre Gedanken nach der Gesellenprüfung?
Helene Steinberg: Zu dem Zeitpunkt war für mich schon klar, dass ich nach der Ausbildung auf Wanderschaft gehen möchte. (...) Denn ich wollte einfach alle Facetten meines Gewerks kennenlernen und intensiver ergründen.

Wann und wo ging es denn dann los auf Wanderschaft?
Steinberg: Im Juli 2017 ging es richtig los. Ich war im Grunde kreuz und quer in Europa unterwegs - von der Algarve in Südportugal bis in den Norden Schwedens oberhalb des Polarkreises. Ich wäre gerne noch weiter östlich unterwegs gewesen. Gerade wollte ich aufbrechen in Richtung des Schwarzen Meeres, da kam dann Corona mit Lockdown und Grenzschließung. Da brach dann für mich eine Zeit an, in der ich weniger gereist bin und dafür mehr gearbeitet habe. (...) Ich habe Zimmerer- und Dachdeckerarbeiten gemacht, habe an einem Fachwerkschnitzkurs teilgenommen, habe mich an Tischleraufgaben versucht und zwei alte Bauernschränke aufgearbeitet.

Sicherlich ist es schwer zu sagen, welches die schönsten Erfahrungen waren. Aber können Sie uns einen kleinen Einblick geben?
Steinberg: Am Anfang meiner Reise war ich sehr davon, wie beeindruckt hilfsbereit Menschen eigentlich sind. Das ist sicherlich auch auf die Kluft zurückzuführen. Dieses blinde Vertrauen hat mich einfach umgehauen. Mich haben Menschen gesehen, die mich überhaupt nicht kannten und mir angeboten, dass ich bei ihnen schlafen kann, sie haben mir ihren Haustürschlüssel geben und mir offen gelassen, wie lange ich bleiben möchte. Mir wurde einfach eine extreme Gastfreundschaft und ein hohes Maß an Grundvertrauen entgegengebracht.

Gleichzeitig ist eine sehr persönliche Erfahrung, die ich gemacht habe, dass ich mich sehr gut auf mich selbst verlassen kann. Meine inneren Stimmen und mein Bauchgefühl funktionieren. Mich auch mal geschickt herausreden können, ohne mein Gegenüber zu verletzen und trotzdem eine direkte Ansprache zu wählen, das habe ich für mich gelernt. Genauso wie die Fähigkeit, Konflikte anzusprechen und mit Kompromissen Lösungen zu finden.

Weibliche Wandergesellinnen sind noch immer eher ungewöhnlich. Haben Sie das Gefühl als Frau besondere Erfahrungen gemacht zu haben, gab es beispielsweise Überraschungsmomente oder Ähnliches? 
Steinberg: Ich bin in einer Vereinigung gereist, die sich der Freie Begegnungsschacht (FBS) nennt. Bei uns ist es so, dass Frauen und Männer in allen früher traditionell reisenden Gewerken reisen dürfen. (...) Zu meiner Reisezeit waren wir in meiner Vereinigung tatsächlich in gleichen Teilen Männer und Frauen unterwegs. 

Perspektiven wechseln, sich weiterentwickeln und Neues lernen: Helene Steinberg bildet sich zur Gestalterin im Handwerk an der Akademie für Gestaltung der HWK Münster fort.
Perspektiven wechseln, sich weiterentwickeln und Neues lernen: Helene Steinberg bildet sich zur Gestalterin im Handwerk an der Akademie für Gestaltung der HWK Münster fort.

Im Gespräch mit männlichen Kameraden habe ich aber oft die Reaktion erhalten, dass es mit weiblichen Kameradinnen etwas strukturierter abläuft oder Mitmenschen offener sind, uns mitzunehmen. Andererseits habe ich aber auch die Erfahrung gemacht, dass uns jemand nicht mitnehmen wollte aus Angst, wir Frauen könnten ihm etwas nachsagen. Darum habe ich die Kombi aus Männern und Frauen für das Reisen sehr positiv empfunden. (...)

Auf einer öffentlichen Toilette hatte ich sogar mal die Situation, dass mich die Toilettendame zurückgerufen und auf die Herrentoilette verwiesen hat, bis sie gesehen hat, dass ich eine Frau bin. In den Köpfen der Gesellschaft hängt stark das Bild des männlichen Wandergesellen, der in der Kluft steckt.

"Seid stark und traut euch. Lasst euch nicht unterkriegen von irgendwelchen Sprüchen. Ihr könnt genau dasselbe schaffen wie die Jungs und Männer, vielleicht auf eine andere Art und Weise, aber ihr kommt zum Ziel." 
Helene Steinberg

Was würden Sie aus all diesen Erfahrungen anderen Frauen und Mädchen mit auf den Weg geben?
Steinberg: Seid stark und traut euch. Lasst euch nicht unterkriegen von irgendwelchen Sprüchen. Ihr könnt genau dasselbe schaffen wie die Jungs und Männer, vielleicht auf eine andere Art und Weise, aber ihr kommt zum Ziel. Lasst euch nicht unterkriegen von einer männerdominierten Welt, bleibt euch treu und macht euch groß. Wenn ihr Hilfe braucht, dann fragt, das ist total in Ordnung. Versucht Klischees auszublenden und euch dem nicht zu unterstellen. Ihr müsst euch nichts gefallen lassen, „nur“ weil ihr Frauen seid. (pm)

Das gesamte Interview ist über die Webseite des Kompetenzzentrums Frau & Beruf Münsterland abrufbar.

Das Kompetenzzentrum Frau und Beruf

Frauen- und familienfördernde Strukturen in der Personalpolitik zu fördern ist das Ziel des Kompetenzzentrums Frau und Beruf Münsterland. Das Projekt unterstützt und sensibilisiert kleine und mittlere Unternehmen der Region bei diesem Vorhaben. Getragen wird das Kompetenzzentrum von der Handwerkskammer Münster und kooperiert mit dem Forschungszentrum Familienbewusste Personalpolitik (FFP). Als eines von 16 Kompetenzzentren Frau und Beruf in NRW wird auch das Projekt im Münsterland vom Landesministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung sowie aus dem EFRE-Fonds der EU gefördert.

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